Anschließend stellte Sven Zuber als stellvertretender
Bürgermeister die Geschichte der "Stadt Forst/L. im Laufe der
Jahrhunderte" vor. Forst, dessen aktuelle Situation stark vom Braunkohlentagebau
mitbestimmt wird, weist eine lange Tuchmachertradition auf. 1346 erst-mals
urkundlich erwähnt, besaß die Stadt seit mindestens 1418 ein
privilegiertes Tuchmacherhandwerk. Im frühen 17. Jahrhundert erhielt
dieses starken Zuzug von Fachkräften aus den Niederlanden. Nach zwei
verheerenden Stadtbränden Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte
sich die Stadt bis 1900 zu einem bedeutenden Textilzentrum. Nach 1945
wurde Forst wie andere an Oder und Neiße liegende Orte plötzlich
Grenzstadt - mit allen damit verbundenen Besonderheiten.
Natascha Mehler (Wien/Ö) referierte mit "Tonpfeifen in
Bayern (ca. 1600-1745): Ergebnisse und neue Fragen" (1)
aktuelle Erkenntnisse aus ihrer kürzlich abgeschlossenen Dissertation.
Sie stellte zuerst eine rein beschreibende Typografie ihrer Funde vor
und machte den methodischen Unterschied zu einer schon interpretierenden
(weil mit chronologischen Aussagen verknüpften) Typologie deutlich.
In der Schlussphase ihrer Arbeit war es N. Mehler gelungen, die zahlreich
auf bayerischen Pfeifenfunden vorhandenen Reliefbuchstaben mit der Abfolge
von Tabakappaltoren zu korrelieren, die im 17. und frühen 18. Jahrhundert
in Bayern die Aufsicht über den Vertrieb von Tabak und Tonpfeifen
ausübten und mit deren Initialen alle Pfeifen zu Kontrollzwecken
versehen werden mussten. Damit konnte die Referentin ein wertvolles Datierungsinstrument
für die chronologische Ordnung ihres Fundmaterials benutzen. Abschließend
betonte sie, dass es immer noch keine archäologischen Nachweise für
die - sicher vorhandene - Produktion von Tonpfeifen aus dieser Zeit in
Bayern gibt.
Der Nachmittag gehörte einer Exkursion ins benachbarte Polen. S.
Zuber und seine Frau Beata Zuber von der Deutsch-Polnischen
Kontaktstelle Forst begleiteten die Exkursion als Übersetzer und
versierte Kenner der grenzübergreifenden Region und ihrer Geschichte.
In Žary (Sorau) wurde das im Aufbau befindliche historische Kabinett
der Stadt besucht, wo sein Leiter Jerzy Tomasz Nowizski den Teilnehmern
neben anderen Exponaten Tonpfeifenfunde von Stadtkerngrabungen vorstellte.
Durch die Stadt führte ihr Wirtschaftsdezernent Ireneusz Brzezizski.
Anschließend ging die Exkursion nach Lubsko (Sommerfeld) und endete
mit der Besichtigung des Brühlschlosses Brody (Pförten). Zurück
in Forst führte die Fahrt schließlich auf das Ostufer der Neiße,
wo nach 1945 die Überreste der Stadthälfte rechts der Neiße
komplett abgetragen wurden. Heute befindet sich dort eine Art moderner
Wüstung, die den Exkursionsteilnehmern rechts drastisch die Auswirkungen
von Politik auf Siedlungstätigkeit vor Augen führte. Der Tag
schloss mit einem gemeinsamen Abendessen und einem zwanglosen Erfahrungsaustausch,
bei dem die Teilnehmer die Gelegenheit nutzten, Funde und neue Literatur
zu präsentieren.
Das Vortragsprogramm am Sonntag begann mit einem Referat von R. Kluttig-Altmann
(2)**: "Basisarbeit. Tonpfeifen aus Fundaufarbeitungsprojekten
in Sachsen und Sachsen-Anhalt", in welchem Neufunde aus Pirna, Dresden,
Kamenz und Wittenberg vorgestellt wurden. Neben den bekannten holländischen
Importen bzw. deren überwiegender Nachahmung befinden sich im Fundmaterial
auch unter verschiedenen Gesichtspunkten ungewöhnliche Funde. Dazu
gehört ein größerer (Wirtshaus-)Komplex handschriftlich
signierter Pfeifen aus dem späten 18./frühen 19. Jahrhundert
vom Dresdner Altmarkt ebenso wie die Hinterlassenschaften an Tonpfeifen
der Türmer der Kamenzer Marienkirche über ca. 200 Jahre. Individuell
geformte Beispiele aus der Gruppe der ohne Form hergestellten lokalen
ostsächsischen (?) Produkte des 17. Jahrhunderts zeigten sich unter
den Neufunden aus Kamenz, Pirna und Wittenberg, u. a. sog. Langhalspfeifen.
Michaela Hermann** (Augsburg) referierte anschließend über
"Die Tonpfeifenfunde vom Augsburger Jakobsplatz. Oranier-Pfeifen
in Bayern". Eine Serie dieses Pfeifentyps mit Wappen- und Herrscherdarstellungen
von besagtem Fundplatz gab Anlass zu intensiven Nachforschungen. Die Oranier-Pfeifen,
die außerhalb der Niederlande selten vorkommen, sind ein bisher
singulärer Fund in Bayern, und die Referentin ging daher der Frage
nach, weshalb diese teuren Rauchuntensilien ausgerechnet in der Augsburger
Jakobervorstadt, einem etwas ärmeren Stadtviertel, auftauchen. Möglicherweise
handelt es sich um die Hinterlassenschaft eines (Klein-)Händlers.
Unter den Personen, die Ende des 18. Jahrhunderts in der Nähe des
Fundorts gewohnt haben, konnte ein vielleicht dafür infrage kommender
"Handelsmann" nachgewiesen werden. Insgesamt ist eine Dominanz
Goudaer Produkte unter den Pfeifenfunden festzustellen, und darunter haben
wiederum Stücke aus der Werkstatt des "Pfeifengiganten"
Frans Verzijl den größten Anteil. Aus seiner Werkstatt stammen
auch die oben erwähnten Reliefpfeifen. Aber auch der zunehmende Import
aus dem Westerwald lässt sich, vor allem anhand eindeutiger Stieltexte,
nachweisen.
Ruud Stam (Leiden/NL) fragte in seinem Vortrag "Wie wichtig
war die Philosophie für die Herstellung von Pfeifen im 19. Jahrhundert
in Gouda?"** Die gewaltigen Umwälzungen in Europa Mitte des
19. Jahrhunderts wirkten sich nicht nur in einer immer mehr technisierten
Umwelt aus, auch das Denken, die geistige Welt veränderten sich rapide.
Der Referent setzte diese Entwicklung in Beziehung zum Goudaer Tonpfeifenmacherhandwerk.
Nachdem sich dieses in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in
einer denkbar schlechten Lage befand, wurde 1855 in einer Versammlung
der Pfeifenmacher in Gouda zum ersten Mal die Notwendigkeit einer Änderung
der Produktionsstrategie und einer Orientierung auf die (Welt-)Marktverhältnisse
unterstrichen und verstanden. Anlass für diese neue Sicht war nicht
zuletzt die sehr erfolgreiche Pfeifenproduktion in Frankreich, die sehr
flexibel auf Moden und geistige Strömungen reagierte. So schaffte
Gouda gerade noch den Anschluss an den Weltmarkt und erlebte nach der
Mitte des 19. Jahrhunderts noch einmal eine Blüte, in der vor allem
größere Betriebe wie Goedewaagen und G. C. van der Want entstanden.
Carsten Spindler** (Braunschweig) stellte den Fund einer "Metallpfeife
aus dem Forstenrieder Wald bei München" vor und ging hier besonders
auf Fragen der Herstellung des Stückes ein. Die Pfeife wurde aus
einem Stück (Messing-)Blech gefertigt. Der sanft gebogene Stiel hat
eine laienhaft eingeritzte Verzierung, die an entsprechende Rollstempel
bei klassischen Tonpfeifen erinnert. Als weitere stilistische Anleihe
an die Tonpfeifenformen wurde ein zylindrisches Metallstück als Ferse
angelötet. Kopfform und Größe so wie das gesamte Erscheinungsbild
erinnern an die Tonpfeifen des 18. Jahrhunderts aus dem Westerwald.
Rainer Riechmann (Lemgo) sprach über "Feuererzeugung
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Vorstellung eines pneumatischen
Feuerzeugs im ländlichen Raum". Ohne Feuer kein Rauchen! Ausgehend
vom Fund eines auf dem Prinzip der Luftverdichtung und -erhitzung beruhenden
pneumatischen Feuerzeugs in Sabbenhausen bei Bad Pyrmont, welches ähnlich
konstruiert ist wie eine Luftpumpe, gab der Referent den Zuhörern
einen Exkurs über die verschiedensten Methoden zur Feuererzeugung
jener Epoche. Der Erfindungsreichtum des 19. Jahrhunderts ließ verschiedene
Methoden so schnell hintereinander zur Patentreife gelangen, dass sich
viele davon nicht durchsetzen konnten - nicht, weil sie unpraktisch gewesen
wären, sondern weil sie schon vor einer allgemeinen Durchsetzung
von der nächsten, moderneren Variante abgelöst wurden.
N. Mehler* beschloss das Vortragsprogramm mit "Von ‚Pfeifenbäckern'
und ‚Pfeifenmachern' - ein Beitrag zur Terminologie". Durch
die für die Tonpfeifenforschung grundlegenden Publikationen M. Küglers
hat der Begriff "Pfeifenbäcker" überregional eine
unreflektierte Übernahme erfahren, wobei übersehen wurde, dass
er nur für den Westerwald - das "Kannenbäckerland"
- gültig ist. Aus diesem Grund kann man ihn auch nicht in historischen
Unterlagen in anderen Regionen finden. Um terminologisch sauber zu arbeiten,
schlug die Referentin vor, Hersteller von Tonpfeifen außerhalb des
Westerwaldes künftig wertfrei als "Tonpfeifenmacher" zu
bezeichnen.
Im Anschluss gab R. Kluttig-Altmann Bericht über Angelegenheiten
des "Arbeitskreises Tonpfeifen" und des KnasterKOPF. So sprach
er allen aktiv Mitwirkenden und Förderern seinen besonderen Dank
aus und warb um weitere Unterstützung. Mit dem Erscheinen des neuen
KnasterKOPF konnte eine durch die Umstrukturierung der Redaktion bedingte
mehrjährige Pause beendet werden. Gleichwohl ist eine langfristige
Zukunftssicherung der Zeitschrift noch nicht erreicht, solange Herausgabe
und Redaktion ausschließlich ehrenamtlich erledigt werden, wie es
nach wie vor der Fall ist. R. Kluttig-Altmann stellte abschließend
Finanzierungsideen vor, mit denen der nächste geplante Band 20, der
Themenband zu "Metallpfeifen", bereits 2009 erscheinen könnte.
Für die nächste Tagung des Arbeitskreises
vom 23. bis 26. April 2009 haben die Kunstsammlungen und Museen der Stadt
Augsburg eingeladen. Zentrales Thema der Tagung, zu der alle Interessierten
herzlich eingeladen sind, werden der Tonpfeifenhandel bzw. die -herstellung
von Tonpfeifen in Bayern und den angrenzenden Ländern sowie die Unterschiede
zwischen Kurbayern, den Reichsstädten und anderen reichsunmittelbaren
Territorien sein.
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(1) MEHLER, Natascha: Tonpfeifen in Bayern. Chronologische
und historische Studien (Diss. Univ. Kiel 2007, unpubl.).
(2) Mit einem * versehene Vorträge sind bereits im
KnasterKOPF 19/2007 publiziert, mit ** markierte Vorträge zur Publikation
im nächsten Band 20 vorgesehen.
Siehe auch: Nachlese
der Tagung in Forst im Forum
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