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Tonpfeifen als Forschungsobjekt
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Vor dem Beginn des Vortrags- und Exkursionsprogramm teilte
Martin Kügler seinen bereits in der Einladung zur Tagung angekündigten
Entschluss mit, sowohl als Leiter des Arbeitskreises Tonpfeifen wie auch
als Herausgeber der Zeitschrift KnasterKOPF mit Ende der Veranstaltung
aus persönlichen Gründen zurückzutreten. Er sicherte zu,
dem neuen Leiter und der Redaktion des KnasterKOPF beim Übergang
behilflich zu sein und auch künftig individuelle fachliche Anfragen
zu beantworten, werde sich jedoch selbst nicht mehr aktiv in die Organisation
und die Forschung einbringen. Das wissenschaftliche Programm der Tagung begann am Freitagmittag mit der Exkursion nach Geisenhausen bei Landshut zur Firma Alois Pöschl Tabak GmbH & Co. KG. Firmeninhaber Dr. Ernst Pöschl lud die Teilnehmer zum Mittagessen ein und führte anschließend persönlich, unterstützt von drei Mitarbeitern seines Hauses, durch den modernen Industriebetrieb. Auf eindrucksvolle und originelle Weise unterrichtete Dr. Pöschl über die Geschichte des Familienbetriebes, der sich seit seiner Gründung 1902 zur größten Schnupftabakfabrik in Europa entwickelt hat, seit einigen Jahren aber auch bei Pfeifen- und Zigarettentabaken große Marktanteile besitzt. Bei dem zweistündigen Rundgang durch die verschiedenen Hallen und Abteilungen der Fabrik wurde den Anwesenden die verschiedenen Rohstoffe, Sorten und Mixturen erläutert und die Herstellung des klassischen bayerischen "Schmalzlers" wie auch der anderen Tabake anschaulich erklärt. Am Abend erwartete die Mitglieder des Arbeitskreises im
Schlaraffensaal des Stadtmuseums Ingolstadt ein Empfang der Stadt Ingolstadt.
Frau Bürgermeister Brigitte Fuchs begrüßte die
Teilnehmer und zeigte sich über die große Resonanz auf die
Einladung nach Ingolstadt erfreut. In einer Führung gab Frau Dr.
Beatrix Schönewald einen Überblick über die industriegeschichtliche
Überlieferung im Stadtmuseum. Einen weiteren Höhepunkt bot
die Besichtigung der historischen Schnupftabakstampfe der Firma Lotzbeck.
Angeregt durch die Tagung der Arbeitskreises bemüht sich das Stadtmuseum
Ingolstadt zusammen mit der Fa. Pöschl, die Stampfe wieder in Betrieb
zu nehmen und künftig den Besuchern das im 18. und 19. Jahrhundert
auch hier ansässige Gewerbe der Schnupftabakherstellung zeigen zu
können. Das dichte Vortragsprogramm begann am Samstag mit dem Beitrag von Dr. Gerd Riedel, Ingolstadt, über die neuesten Ergebnisse der Stadtarchäologie in Ingolstadt. Mit karolingischen und merowingischen Befunden in den nördlichen und südlichen Vororten Ingolstadts konnte erneut eine Annäherung an die bekannten historischen Nachrichten (Gründung der Stadt 806) erreicht werden. Befunde aus dem 13./14. Jahrhundert im Bereich des alten Schloss zeigen, dass dieser Monumentalbau eng mit der Stadt verbunden gewesen zu sein scheint. Untersuchungen in der Altstadt ermöglichten die Rekonstruktion von Bürgerhäusern mit wirtschaftlichem Charakter (Apotheke, Werkstätten). Martin Kügler, Görlitz, leitete anschließend
zum ersten Fachvortrag über und berichtete über den bisherigen
Stand der Tonpfeifenforschung in Bayern. Dominierten bisher Funde
von Verbrauchsorten, so definiert sich die "Tonpfeifenlandschaft
Bayern" zunehmend auch durch Hinweise auf Produktionsorte, denen
aber noch intensiver nachgegangen werden muss. Im nächsten Referat stellte Dr. Cordula Brand, Essen, einen münzdatierten Tonpfeifenfund vom St. Jakobsplatz in München vor. Bei der Grabung 2002/03 auf der Ostseite des Platzes, im sogenannten Seidenhaus, wurden an verschiedenen Fundstellen eine große Anzahl an Gesteckpfeifen geborgen. Die weit gestreute Verbreitung dieses Pfeifentyps erschwert eine genaue Eingrenzung auf einen Hersteller oder Produktionsort. Anhand von Vergleichsfunden aus München, Freiburg, Warschau und der Zipser Burg ließ sich der Fundkomplex in das Ende des 17./Beginn des 18. Jahrhunderts datieren. Die vielfältigen Formen der Gesteckpfeifenköpfe weisen auf einen weitreichenden Handel vor allem mit südosteuropäischen Pfeifenherstellern hin. Am späten Vormittag bestand die Gelegenheit zur Besichtigung des Deutschen Medizinhistorischen Museums in Ingolstadt. Anhand einiger fachkundig von Herrn Dr. Kowalski präsentierten Objekte, wie der Tabak-Klistiere aus dem 17. und 18. Jahrhundert, konnte die Wirkung und der Einsatz von Tabak in der Medizin kennen gelernt werden. In Vertretung der Leiterin des Pfeifenmuseums in Ruhla,
Frau Heike Helbig, verlas Holger Haettich ein Grußwort an
die Teilnehmer der Tagung. Darin teilte Frau Helbig mit, dass die
Streitigkeiten um den Nachlass des 1980 verstorbenen letzten Pfeifenherstellers
Franz Thiel in Ruhla endlich beigelegt sind. Ein großer Teil der
nach mehreren Einbrüchen in die aufgelassene Werkstatt stark dezimierten
Lagerbestände und der Werkzeuge wird vom Pfeifenmuseum in Ruhla nun
übernommen und in Kürze der Öffentlichkeit präsentiert
werden. Walter Morgenroth, Tutzing, widmete sich dem "Tabakhandel, den Pfeifenmarken und den Schmugglerbanden im Kurfürstentum Bayern von 1660 bis 7140" anhand archivalischer Quellen. Um 1650 war die freie Reichsstadt Nürnberg die Drehscheibe für den süddeutschen Tabakhandel. Im Kurfürstentum Bayer können verschiedene Tabakappaltoren nachgewiesen werden, die jeweils das Monopol vom Staat gepachtet hatten. Einer der bedeutendsten Vertreter des Tabakhandels war Johann A. Senser, der ab 1668 auch in der Oberpfalz tätig war. Die exakte Kenntnis der Geschichte der Tabakverpachtung ist wichtig, um die von den Pächtern gekennzeichneten Tonpfeifen datieren zu können. So sind neben den bereits erwähnten "ISC"-Pfeifen Sensers auch solche mit "CBT" bekannt. Sie wurden in der Zeit der vom Staat selbst durchgeführten Verwaltung des Tabakhandels Ende des 17. Jahrhunderts vermutlich im Auftrag der entsprechenden Behörde, dem "Churfürstlich bayrischen Tabakwesen", hergestellt. Ab 1732 zeichnet sich für den bayrischen Raum ein freier Handel mit Pfeifen ab. Einem gänzlich anderem Thema widmete sich Manuel Thomas, Rheinzabern. Der Referent stellte einen methodischen Vergleich zwischen Tonpfeifen und römischer Terra-Sigillata an. Nach einer Einführung in diese wichtige römische Keramikgattung skizzierte er Gemeinsamkeiten wie die ähnliche Herstellung anhand von Formen, die Kennzeichnung durch den Hersteller oder die vergleichbare feine Qualität der Tone. Für bemerkenswert erachtete der Vortragende das angestrebte einheitliche Dokumentationsschema in der Tonpfeifenforschung, da sich eine derartige Vorgangsweise in der Terra-Sigillata-Forschung noch nicht durchgesetzt hat. Felix van Tienhoven, Geldrop/NL, befasste sich in seinem Vortrag mit Pfeifen aus Metall. Diese Pfeifengattung erfreute sich vom 16.-19. Jahrhundert großer Beliebtheit. Da bei den meisten dieser Metallobjekte keine Metallanalysen möglich sind entfällt eine große Datierungshilfe. Die vom Referenten vertretene These, dass es sich bei vielen Stücken um Kopien von Tonpfeifen handeln könnte, würde eine Bestimmung der Herkunft wie auch die Datierung ermöglichen. In einem Überblick wurden Metallpfeifen aus den Niederlanden, Großbritannien und Schottland, Frankreich, Österreich und Ungarn wie auch aus Fernost gezeigt. Der Beitrag von Johanna Sendl, Schönau, zechnete die Geschichte der Pfeifenbäckerfamilie Lersch in Höhenberg, Kreis Rottal/Inn, nach. Über drei Generationen kann das Schicksal der Familie vom Ende des 18. bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts nachvollzogen werden. Die Produktion des kleinen Familienbetriebes war stets bescheiden und dürfte nur den regionalen Markt versorgt haben. Neben schriftlichen Dokumenten haben sich auch einige Werkzeuge, Pfeifenformen und Produktionsbeispiele erhalten, die die Referentin mitgebracht hatte, und die von den Teilnehmern mit großem Interesse begutachtet und diskutiert wurden. Dr. Theodor Straub, Gaimersheim, referierte über die Herstellung von Holzpfeifen als merkantilistisches Dorfgewerbe am Beispiel des altwürttembergischen Fleckens Gruibingen. Anhand von ausführlichen Studien im Gemeindearchiv konnten zahlreiche Handwerker erfasst und ihr Gewerbe über mehrere Generationen hinweg beschrieben werden. Die Holzpfeifenproduktion war ein beliebtes Nebengewerbe zum jeweiligen Hauptberuf. Dass die Tonpfeifenforschung auch einen wesentlichen Beitrag zu interdisziplinären Forschungen liefern kann, zeigte der Vortrag von Simon Kramis, Basel/CH. Er untersuchte Spuren des Tonpfeifenrauchens an Zähnen neuzeitlicher Skelette in Basel. Anhand des anthropologischen Materials von zwei Friedhofsarealen, welche in das 18./19. Jahrhundert datieren, zeigte der Referent anschaulich die Nachwirkungen des Tabakgenusses (Abrasionen, Usuren, Teerauflagen, Zahnverfärbungen, Zahnstein) auf. Durch diese pathologischen Veränderungen können verschiedene Aspekte der Sozialgeschichte, des Tabakkonsums und der Datierung der Tonpfeifen im Zusammenhang mit den Befunden ermöglicht werden. Mit diesem Beitrag wurde der wissenschaftliche Abschnitt des Tages beendet und ein gemeinsames Abendessen ermöglichte weitere Diskussionen wie auch einen gemütlichen Ausklang. Am Sonntag fand zunächst die Fortsetzung der Diskussion über die Zukunft des Arbeitskreises statt. Danach übernahm Brigitte Fettinger, Wien/A, die Aufgabe, die Aufmerksamkeit der Teilnehmer wieder auf Sachfragen zu lenken. Die Referentin behandelte einen Fundkomplex von der Ruine Scharnstein/Oberösterreich. Es handelte sich um Streufunde, die in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts datiert werden können und bis in das 18. Jahrhundert verwendet wurden. Der Befund wird von einer speziellen Pfeifenform, den sogenannten Stiefelpfeifen dominiert. Es lässt sich eine enge Verwandtschaft des Materials mit anderen Funden aus Österreich und Bayern aufzeigen. Die große Anzahl dieser extremen Form auf einem Fundplatz ist bisher einzigartig und deutet auf Produktionsstätten in Bayern oder Österreich hin. Im folgenden Vortrag berichtete drs. Ruud Stam, Leiden/NL, über die wirtschaftliche Lage der Tonpfeifenindustrie in den Niederlanden im 20. Jahrhundert. Generell ließ sich eine Abnahme der Tonpfeifenherstellung im 20. Jahrhundert feststellen. Ab 1920 wurden gegossene Pfeifen in Manufakturen hergestellt und der Absatz der von Hand ausgeformten ("gekasteten") Pfeifen immer geringer. Zu Beginn der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts brach die Produktion der gekasteten Pfeifen fast ganz zusammen, während die gegossenen Formen an Beliebtheit gewannen. Ab den zwanziger Jahren erhielt die Tonpfeifenindustrie mit der Herstellung von Holzpfeifen eine übermächtige Konkurrenz. Die billigen Holzpfeifen verdrängten die Tonpfeifen in den Souvenirsektor mit wenig relevanter wirtschaftlicher Nachfrage. John Rogers, Malvern/GB, bot einen vielfältigen Überblick über seine Sammlung an Tabakdosen und Pfeifenstopfern. Anhand der Objekte beschrieb der Referent die Entwicklung dieser beiden für das Rauchen wichtigen Accessoires aus den verschiedensten Materialien und in differenzierten Formen. Neben den zahlreichen Verzierungsmöglichkeiten faszinierten die beschriebenen historischen Einflüsse auf das Material, wobei wie auf Tonpfeifen oder anderen Gegenständen des Alltags auch bei Pfeifenstopfern aktuelle Ereignisse aufgegriffen wurden (z.B. Napoleon-Figuren als Handhabe um 1800). Der letzte Referent, Carsten Spindler, Braunschweig, leitete von den Objekten aus der Vergangenheit zu zukünftigen Möglichkeiten eines Online-Forums über. In seinem Beitrag wurden die Tagungsteilnehmer über die technischen Möglichkeiten, die Struktur und den Aufbau einer derartigen Einrichtung informiert und über die Chancen und Probleme am Beispiel der Tonpfeifen-Forschung diskutiert. Tief bewegt beendete Martin Kügler die 19. Tagung des Arbeitskreises Tonpfeifen. Sein Dank galt allen Referenten, die mit der Präsentation ihrer Forschungsergebnisse für ein abwechslungsreiches Programm und regen Informationsaustausch gesorgt hatten. Dank galt aber auch Frau Museumsdirektor Dr. Beatrix Schönewald und Herrn Dr. Claus-Michael Hüssen, die kurzfristig und unbürokratisch die Tagung in Ingolstadt möglich gemacht hatten. Zu danken war ferner Frau Bürgermeisterin Fuchs sowie Herrn Dr. Pöschl, dessen gastliche Aufnahme und informative Führung durch die Fa. Alois Pöschl Tabak sicher das eindrucksvollste Erlebnis der Tagung war. Dank gebührte aber in einem ganz besonders hohen Maße Natascha Mehler, die parallel neben der Vorbereitung der Sektion "Tonpfeifen" auf dem Deutschen Archäologenkongress die Tagung in Ingolstadt vorbereitet hatte. Ihr ist es zu danken, dass von der Einladung über das Programm bis hin zu den Tagungsräumen, der Exkursion und auch der Gastronomie die mit über 60 Teilnehmern überraschend zahlreich besuchte Tagung perfekt verlaufen konnte. Im Nachgang der Tagung übernahm Dr. des. Ralf Kluttig-Altmann kommissarisch die Leitung des Arbeitskreises, um bis auf Weiteres einen zentralen Ansprechpartner zu gewährleisten. Damit sind die Zukunft des Arbeitskreises und des KnasterKOPF aber in keiner Weise gesichert. Daher sind alle Empfänger dieses Berichtes nachdrücklich aufgefordert, sich Möglichkeiten einer aktiven Mitarbeit zu überlegen und mit dem kommissarischen Leiter Kontakt aufzunehmen. Die Aufgaben innerhalb des Arbeitskreises sind sehr vielfältig und können auf viele Schultern verteilt werden, so dass die Belastung für den Einzelnen nur gering ist. Es soll abschließend noch einmal nachdrücklich auf das Kommunikationsforum forum/index.php hingewiesen werden, welches ab sofort das Rückgrat der neuen Arbeitsstruktur bildet.
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Letzte Aktualisierung: 28.11.2013
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