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Rezension zu: Stefan Leenen, Die Tonpfeifen von Schloss Horst. In: Carl Heinrich Lueg / Stefan Leenen, Rechnungsbücher und Tonpfeifen. Denkmalpflege und Forschung in Westfalen Bd. 49.5. Forschungen zu Haus Horst in Gelsenkirchen. (Darmstadt 2014) 340 S., 130 Abb., 5 Tab. und 33 Taf. 37 Euro. ISBN 978-3-8053-4812-6. Hier S. 271-340. Von Gerald Volker Grimm, Bonn 2014.

Stefan Leenen gibt auf über 60 bebilderten Textseiten sowie 33 Tafeln mit Fundumzeichnungen aus Schloss Horst einen auch für Laien gut lesbaren Überblick über den Tabakkonsum und die Grundzüge der Entwicklung der Tonpfeifen in Mitteleuropa.

Lediglich die frühen Pfeifentypen der Zeit um 1600 fehlen im Horster Fundmaterial. Weder eine Einkaufsnotiz noch ein Siegburger Sturzbecher, dessen figurale Zierde einen heute fragmentierten Gegenstand in der Hand hält, lassen sich als gesicherte Nachweise des 16. Jahrhunderts für Tabaksgenuss vor Ort anführen (290 f.). Ob Marken wirklich erst im 17. Jahrhundert aufkamen (S. 293), ist allerdings nicht ganz gesichert: Higgins zeigt bereits gemarkte Stücke aus der Zeit um 1580-1610 (vgl. Higgins 2009, 41). Die Pflicht zum Marken ist dagegen ein wenig zu früh datiert: Die offiziellen Regelungen zu den Goudaer Marken gehen erst auf die Jahre 1739/40 zurück; in der gildeninternen Verpflichtung auf die neuen Regeln der Gilde von 1686, 1663 wurde lediglich geregelt, daß nur die jeweils älteste Marke verwendet werden sollte (Duco 2003, 25-31; Oostveen/Stam 2011, 18 f., 84). Unter den frühestens ab den 1620er Jahren einsetzenden Pfeifen aus Schloss Horst dominiert die jüngere "bekrönte 46" (S. 303).

Leider gilt auch für Schloss Horst, wie für viele andere Fundplätze in Deutschland, dass Tonpfeifen selten aus stratifizierten, aufeinander folgenden oder gar jahrgenau datierten Befundzusammenhängen stammen (vgl. etwa auch: Mehler 2010, 130-136). Lediglich eine Vielzahl der Funde aus Horst stammt Leenen zufolge aus der sogenannten Gräfte, die seit 1828 versiegelt war (S. 289).

Die insgesamt 225 im Katalog aufgeführten Stücke sind im Tafelteil sämtlich in maßstäblichen Umzeichnungen abgebildet (von einer Ausnahme abgesehen sogar alle praktischerweise im M 1:1). Bei einigen Pfeifenfragmenten erhielt Leenen zusätzliche Hinweise von Jan van Oostveen, die in eckigen Klammern vermerkt sind; Oostveens Beurteilungen erfolgten allerdings allein aufgrund fotografischer Aufnahmen (Anm. 109 S. 289). Der unterschiedlich intensive Zugriff auf die typologisch relevanten Kriterien mag in Einzelfällen (z. B. Katalognummer 180) die voneinander abweichenden Datierungsansätze erklären. Dass solche Widersprüche nicht übergangen wurden, ist dem Autor hoch anzurechnen.

Der Katalog ist in groben Zügen der Typochronologie Ducos (1987) folgend geordnet. Dies ist allein schon dadurch gerechtfertigt, dass sich der Horster Fundanfall weitgehend aus niederländischen Pfeifen und deren westdeutschen Imitaten zusammensetzt. Ansonsten werden bei allen Katalognummern Maße, wichtige Elemente der Beschreibung (u. a. eine typographische Ansprache der Kopfformen nach Duco) und Datierung angegeben. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen (z. B. Nr. 79, Nr. 204) werden im Katalog auch die Marken beschrieben. Diese werden, was der Qualität als Nachschlagewerk dienlich ist, in jedem Fall abgebildet. Auf die Angabe von Vergleichsstücken wird verzichtet. Das Fehlen jeglicher Angaben zu den Befunden ist bedauerlich, selbst wenn dadurch nur in Einzelfällen genauere chronologische Rückschlüsse möglich wären.

Auf die beiden schon wegen der Herstellungsqualität aus der Masse der Funde herausragenden Pfeifen Willem Pritsaerts geht Leenen an verschiedenen Stellen ein, (S. 291, 293), erwähnt aber den Herstellernamen nicht in den Katalogeinträgen zu den Nummern 2 und 7 (vgl. zu Pritsaert: Oostveen/Stam 2011, 78, 82 u. Abb. 129). Gleiches gilt etwa auch für Jan Maertenszoon (Katalognummer 1), Arij de Moor (Nr. 90) und Wilhelm Radermacher (Nr. 182). Zumindest in diesen Fällen können die archivalischen Quellen zu den meist genau identifizierbaren Herstellern wichtige Datierungshinweise geben (zu einigen wichtigen Ausnahmen und falschen Herkunftsangaben S. 302-304). Gerade im Katalog wäre ein Hinweis auf gesicherte wie mutmaßliche Urheber sinnvoll gewesen, da man nicht immer davon ausgehen kann, dass jeder Leser auf der Suche nach Vergleichsstücken die gesamte Publikation studiert. Neuerdings hat Davey ein auch auf deutsche Verhältnisse übertragbares System für die Grade der Vertrauenswürdigkeit der Identifikation von Marke und Hersteller publiziert (Davey 2012, 180 f.).

Bei dem figürlichen Pfeifenkopf Nr. 15 mit eindeutig menschlichem Gesicht scheint die Datierung Oostveens in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts wegen des reduzierten oder gar weggefallenen Kinnbartes vielleicht eher der Entwicklung des Dekors zu entsprechen (vgl. Mehler 2010, 158-161), ein Ansatz, dem Leenen im Text auch selbst eher zuzuneigen scheint (S. 292).

Neben den Funden aus Einbeck (Heege 2003) geben die hier weitgehend vorbildlich vorgelegten aus Schloss Horst einen guten Einblick in die Entwicklung der Tonpfeifen vom 17. bis 19. Jahrhundert nördlich der Mainlinie. Vielleicht wären in Einzelfällen zusätzlich zu den guten Umzeichnungen Gisela Helmichs noch fotografische Aufnahmen wünschenswert gewesen, wie es sie zu Vergleichsstücken durchaus gibt. Dass wissenschaftliche Aufarbeitung und Allgemeinverständlichkeit keine Gegensätze sein müssen, zeigt Leenen, der auch die zum Verständniss der Bildwahl unabdingbare Interpretation der Darstellungsinhalte auf den Pfeifen nicht scheut.

Weiterführende Literatur:

Davey 2012: Peter Davey, Written and artifactual evidence for pipe-makers and pipe-making in the British Isles in the 17th Century. Studies in Post-Medieval Archeology 4, 2012, 165-188.

Duco 1987: Don H. Duco, De Nederlandse kleipijp. Handboek voor dateren en determiniren (Leiden 1987).

Duco 2003: Don H. Duco, Merken en merkenrecht van de pijpenmakers in Gouda (Amsterdam 2003).

Heege 2003: Andreas Heege, Tonpfeifen aus Einbeck, Niedersachsen. Knasterkopf 16, 2003, 11-68.

Higgins 2009: David A. Higgins, Country Summary - England. Journal of the Academie International de la pipe 2, 2009, 41-49.

Mehler 2010: Natascha Mehler, Tonpfeifen in Bayern (1600-1745). Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters. Beiheft 22 (Bonn 2010).

Oostveen/Stam 2011: Jan van Oostveen / Ruud Stam, Productionscentra van Nederlandse kleipijpen. Een overzicht van de satnd van zaken (Tielt/Leiden 2011).

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Letzte Aktualisierung: 19.07.2014
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